ALLES HALAL ODER WAS?
Die Frage rund um die Halal-Produkte oder Halal-Zertifizierungen gewinnt mit der Zunahme der muslimischen Bevölkerung in der Schweiz an Gewicht. Knapp eine halbe Million Muslime der 2.1 Milliarden Muslime auf der Welt sind mittlerweile Teil dieses Landes und tragen einen beträchtlichen Anteil zur Entwicklung des Landes bei. Das Bedürfnis nach einer einheitlicheren und übersichtlicheren Regelung der Halal-Frage ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Alleine im letzten halben Jahr verzeichnete das HALALSUISSE über 100 Anfragen in Bezug auf die Halal-Regelung. Besonders auffallend ist aber, dass nun auch bemerkbar viele nichtmuslimische Unternehmen für die Frage zunehmend Interesse zeigen. Es ist anzunehmen, dass die durch die geopolitisch verursachten Veränderungen auch auf indirektem Wege dazu beitragen und die Angelegenheit nun an Wichtigkeit zulegt. Durch die wirtschaftlich einander immer näher rückenden Märkte gewinnt die Halal-Frage auch in Europa zunehmend an Relevanz.
WELCHES ZERTIFIKAT?
Noch aber steht man in der Welt der Halal-Standards und Zertifikate vor einer für den Laien teils verwirrenden Unübersichtlichkeit. Den Ursprung dieses Missstandes hier im Detail zu evaluieren, würde wohl den Rahmen dieses Artikels sprengen. In Kürze kann gesagt werden, dass einige Rechtsgelehrte und islamische theologische Strömungen sich nicht dazu überwinden können, sich auf einen weltweit für alle Muslime geltenden Standard einzulassen. Ähnlich verhält es sich mit der komplexen Frage des „Islamic Banking“. Zu behaupten, dass sich diese Problematik einfach und ziemlich schnell beheben liesse, geht mit ziemlicher Sicherheit an der Realität vorbei. Die einzige Lösung im Ist-Zustand ist es, einen grösstmöglichen Konsens aus der Normensetzung bzw. den bestehenden Standards zu übernehmen. HALALSUISSE übernimmt genau diese Aufgabe und richtet sich dabei nach international gestützten Standards, damit die Zertifikate eine starke Referenz im In-und Ausland bieten. Dazu basiert das HALALSUISSE Label auf den islamischen Konsensnormen und kann somit eine reelle Wirkung entfalten. Auch im Ausland sind die Zertifikate auf Grund der Übereinstimmungen mit den bekanntesten Standards weltweit angesehen und geniessen höchstes Vertrauen.
IN WELCHEM INTERESSE?
Natürlich stellt sich die Frage für wen die schrittweise Klärung der Halal-Angelegenheit von Interesse sei. In den letzten Jahren hat die islamische Gemeinschaft Schweiz stark zugenommen und das Bedürfnis nach Halal-Food ist angestiegen, dies auch auf Grund eines zunehmend stärkeren islamischen Bewusstseins. Die Willkür bei der Emission von Halal-Zertifikaten ist ein prägendes Bild der letzten Jahre in Sachen Halal-Produktion. Immer wieder kommt es vor, dass Unternehmen sich eigene Massstäbe setzen, ihre eigenen Halal-Richtlinien definieren und sich schlussendlich selbst zertifizieren. Andere versuchen mit einer selbsternannten Instanz Halal-Zertifizierung durchzuführen ohne der islamischen Gemeinschaft Offenheit und Transparenz zu bieten oder sich an offiziell anerkannte Standards zu halten.
Diese Willkür wird aber in der Zukunft immer weniger Spielraum geniessen, da die Tendenz doch dahingehend ist, dass grosse, breit abgestützte Organisationen in verschiedenen Ländern und auch auf Ebene internationaler Koordination auf eine Vereinheitlichung der Standards hinarbeiten und dem entgegenzuwirken versuchen.
HALAL – WARUM EIGENTLICH NICHT?
Jüngstes Beispiel mit dem Aufschrei rund um die Halal-Zertifizierung der «Toblerone» hat gezeigt, dass Firmen sich infolge grassierender Islamophobie in der Bevölkerung und aus Angst vor einer Rufschädigung in Acht nehmen. Aus diesem Grund ist die Hemmschwelle für eine wirtschaftlich durchaus logische und lukrative Massnahme für Schweizer Firmen immer noch sehr hoch.
Heute sind viele Kunden Muslime und fragen bei verschiedenen Produkten nach der Erfüllung von Halal-Richtlinien. Daher liegt es mittel-und langfristig im Interesse der Unternehmen, das Vertrauen ihrer muslimischen Kundschaft zu gewinnen. Die Halal-Angelegenheit nichts also Neues in der Schweiz und die Klärung eben dieser letztlich eine Frage des Kooperationswillens der Unternehmer, man denke an die Koscher-Frage der jüdischen Gemeinschaft. Dort verhält es sich ähnlich, dennoch mit einem frappanten Unterschied. Während laut dem Bericht „Alles Koscher“ in „Schweiz Aktuell“ des SF1 am 25.04.2012 gerade mal 5000 von insgesamt 18‘000 in der Schweiz lebenden Juden sich wirklich an die Koscher-Regeln halten, sind es bei den Muslimen ein Vielfaches mehr, welche sich an die Halal-Vorschriften halten. Laut Umfragen von HALALSUISSE in der islamischen Gemeinschaft im August 2012 spielte diese Frage für mehr als 50% der in der Schweiz lebenden Muslime eine wichtige Rolle, was einer Anzahl von ca. 250‘000 Muslimen entspräche. Nur knapp 10% der Muslime in der Schweiz empfinden diese Frage als komplett irrelevant. Natürlich dürfen diese Umfragen bei Weitem nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben, denn dafür müsste eine viel umfassendere Umfrage-Aktion gestartet werden, welche wohl selbst dem Bundesamt für Statistik Probleme bereiten würde, da auch die letzten Zahlen der Volkszählung 2010 bezüglich der Muslime nicht gerade aussagekräftig sind. Während es in der Volkszählung des Jahres 2000 noch 310‘807 waren, ist die Anzahl der Muslime in der Schweiz in der Volkszählung 2010 nur minimal angestiegen: Laut Bundesamt für Statistik sind nur gerade 4.5% (±.0.1%)[1]
der Gesamtbevölkerung (7.9 Mio laut Medienmitteilung des BFS vom 28.08.2011), sprich 355‘500, Muslime. Dass diese Zahlen wohl an der Realität vorbeigehen, wird von vielen ernstzunehmenden auch nicht-muslimischen Institutionen angenommen. Viel mehr wird mittlerweile mit einer Anzahl von 500‘000-560‘000 Muslimen gerechnet.
Mit Blick auf diese Zahlen darf doch berechtigterweise die Frage gestellt werden, weshalb es für Unternehmen nicht von grossem Interesse sein sollte, auf die Bedürfnisse der Muslime in der Schweiz einzugehen, die eine weitaus grössere Kundschaft als etwa die der orthodoxen Juden darstellt, für welche man trotz geringer Anzahl bereit ist, Kompromisse einzugehen, Kontrollen in der Produktion zu gestatten wie sie Rabbiner Josef Wieder für den Schweizer Israelitischen Gemeindebund (SIG) in der Schweiz durchführt und sich schlussendlich zertifizieren zu lassen?
Denn wenn es, wie Josef Wieder meint, für die Schweiz auch wirtschaftlich „schon etwas bringt“[2] dann gilt dies für die islamische Gemeinschaft zumal. Die Muslime müssen ihrem Wunsch nach halal nur in Form erhöhter Nachfrage Ausdruck verleihen. Auch für dieses Bewusstsein steht HALALSUISSE ein.
[1] Medienmitteilung „Strukturerhebung 2010: Erste Resultate“ des BFS vom 19.06.2012, S.11/12
[2] SF1, Schweiz Aktuell, „Alles Koscher?“, 25.04.2012 (14:50)